Grüner Stahl hat keine Nationalität
E Environment and Energy
Edited by Marco Taesi
con Hervé Sacchi

 

Doch welche Farbe hat unser Stahl eigentlich?

Die Antwort scheint klar. Aber solche scheinbar klaren Antworten mögen wir nicht sonderlich. Stellen wir die Frage einmal anders.

Welche Farbe sollte unser Stahl also haben?

Nun kommen wohl subjektive Kriterien ins Spiel. Darüber ließe sich also nachdenken, aber nicht mit dem Farbfächer aus dem nächsten Farbengeschäft.

 

In Wirklichkeit ist die Antwort auf diese Frage weniger strittig, als man meinen könnte. Und sie führt letztlich zu diesem „Grün“, das immer mehr für den Veränderungsprozess steht, den die Stahlindustrie durchlaufen muss, um in ihrem Marktsegment wettbewerbsfähig zu bleiben. 

Wie bei den Farbmusterpaletten, die man von Raumausstattern oder Innenarchitekten zur Auswahl von Wandfarben oder Stoffen gezeigt bekommt, gibt es auch beim Stahl verschiedene Grüntöne. Allerdings nicht offiziell.

Das liegt vor allem daran, dass die beteiligten Akteure und Strategien unterschiedlich sind: Von den bereits eingesetzten Technologien bis hin zu den Investitionen für die Zukunft – die Welt des Stahls ist nicht so „rückständig“, wie manche zu meinen glauben.

Allerdings gibt es das smaragdfarbene Schleifchen bisher noch nicht. Wir reden da eher über Farbtöne wie Seegras, Pistazie oder Limette bei den engagierteren Unternehmen. Andere Unternehmen hier in Europa haben sich dagegen noch nicht einmal Mühe gemacht, der Frage nach den Grundfarben nachzugehen und wie man diese miteinander kombiniert, um den letztlich gewünschten Grünton zu erhalten.

Um die Situation in Europa besser zu verstehen, sprechen wir mit Axel Eggert, dem Generaldirektor von Eurofer.

 


Herr Eggert, Europa hat ehrgeizige Ziele, insbesondere was die Dekarbonisierung betrifft. Welche Aspekte werden dabei vorrangig betrachtet?

Derzeit werden die Regeln für die Umsetzung der beiden wichtigsten Maßnahmen zur Dekarbonisierung in der EU festgelegt: die Neugestaltung des Emissionshandels und die Einführung der Kohlenstoffsteuer (CBAM). Dabei handelt es sich nicht um bürokratische Details, sondern um Schlüsselelemente, die darüber entscheiden werden, ob die Ziele der EU erreicht werden oder nicht. Vorrangig geht es also darum, die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Stahls und insbesondere der 20 Millionen Tonnen Stahlexporte zu erhalten, die ansonsten gefährdet wären. Das CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) soll für gleiche Wettbewerbsbedingungen für EU-Produkte und Produkte aus Drittländern sorgen, aber es muss sich erst noch zeigen, ob das auch so funktioniert. Die EU kann nur mit einer in Europa verankerten „sauberen“ Industrie wettbewerbsfähig und nur mit in Europa erzeugtem Stahl auch resilient sein.

 

Was sind die größten Hindernisse für den ökologischen Wandel und die Energiewende?

In Europa fehlt ein System von Anreizen zur Dekarbonisierung, das sich wie beim Inflation Reduction Act in den USA in niedrigeren Produktionskosten und damit in Wettbewerbsvorteilen niederschlägt. Zudem brauchen wir einen Ansatz, der die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigt. Stahl ist das Rückgrat sowohl der traditionellen als auch der „sauberen“ Industrie. Deshalb fordern wir eine Koordinierung aller wichtigen EU-Industriestrategien von der Energie bis zum Handel. Insbesondere hier ist ein entschiedeneres Vorgehen im Hinblick auf das Problem der Überkapazitäten (nicht nur in China) erforderlich. Die eigentliche Herausforderung sind jedoch die Energiekosten, die vier bis sechs Mal höher sind als bei unseren Wettbewerbern. Der Zugang zu billiger, sauberer Elektrizität wird der entscheidende Faktor für den Erfolg von „grünem“ Stahl sein.

 

Schrott ist eine strategische Ressource für die europäische Stahlindustrie. Wie können wir sie schützen?

Nur durch die Aufnahme von Ad-hoc-Regelungen in die EU-Rechtsvorschriften zur Kreislaufwirtschaft und zum Rohstoffeinsatz kann die Versorgung mit Schrott gesichert werden. Die jüngste EU-Verordnung über die Verbringung von Abfällen, mit der etwas strengere Kriterien für die Ausfuhr in Drittländer eingeführt wurden, war ein erster kleiner Schritt. Demgegenüber wurde die EU-Liste der strategischen Sekundärrohstoffe für den Übergang, darunter Schrott, nicht angenommen. Vor diesem Hintergrund hoffen wir nun stark auf eine Überarbeitung in der nächsten EU-Legislaturperiode.

 

 

Axel Eggert

Generaldirektor des Wirtschaftsverbands der europäischen Eisen- und Stahlindustrie (EUROFER) seit 2014. Zuvor seit 2007 Direktor für öffentliche Angelegenheiten und Kommunikation. Außerdem ist Axel Eggert Vizepräsident der Europäischen Stahltechnologieplattform ESTEP. Axel Eggert ist Deutscher mit langjähriger Erfahrung in Brüssel, unter anderem im Europäischen Parlament, und hat Hochschulabschlüsse in Neuerer Geschichte, Wirtschaft und Recht.

Marco Taesi

Bei Feralpi kümmere ich mich um die Kommunikation. Ich bin für die Medienarbeit und die Entwicklung von den digitalen und nicht-digitalen Inhalten zuständig. Ich liebe das Erzählen. Ich schreibe gern. Das mache ich in meiner Freizeit aus Leidenschaft und auch für die Arbeit, auch als Journalist. Ich kann mich also wirklich glücklich schätzen. Wie man so schön sagt: „Wähle einen Beruf, den du liebst und du brauchst keinen Tag mehr in deinem Leben zu arbeiten.“ Konfuzius hatte recht (aber sagt das bloß nicht dem Chef). An diesem Punkt sollte ich jetzt laut der Vorgaben, die wir bekommen haben, eigentlich schreiben, was meine Leidenschaft ist. Zwei stehen da mit Abstand an der Spitze: Giulia und Lorenzo. Abends steht mir die schwierigste, aber gleichzeitig auch die schönste Arbeit bevor. Einfach Papa sein.